Die Zeitwaisen

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Berlin–Dingle–Avranches 2017 – Lahde–Lünne, Dienstag 30. Mai

in: Berlin–Dingle–Avranches 2017
Lahde–Lünne, Dienstag 30. Mai
Reisen, Radreisen
Radix | Berlin–Dingle–Avranches 2017

-17:23-

„Schaler Straße“ (K 330) zwischen Vennhaar und Waldstraße, nördlich von Bramhof.

Ankunft in Lünne um 19:30. Weiterhin drückt schwüle Hitze von allen Seiten. Geplant war Camping am „Blauen See“, wird verworfen, konnte das Zelt unterwegs nicht trocknen, trotz der Wärme. Lust zu campen fehlt ebenso, suche nun ein B&B oder dergleichen. Nach kurzer Irrfahrt im Einfamilienhausviertel, weiß der zweite befragte Passant ein wirklich existierendes B&B zu nennen, gleich in Sichtweite, sozusagen mit der Nase drauf gestoßen. Und am Eingang steht tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift „Tates B&B“. Wie jetzt? Doch zu schnell unterwegs gewesen?

Scheint, der Besitzer hat Familie in Irland, sei jedenfalls schon öfter auf der Insel gewesen und auch mit seinem Sohn dort wandern. Er freue sich einen Gast zu haben, der nach Irland unterwegs sei. Er möge die Iren, sie seien wesentlich gelassener und hilfsbereiter als z. B. Deutsche, Engländer, Niederländer. Außerdem würden die Iren nur arbeiten, wenn Sie wollten, so wie auch er. Denn eigentlich habe er heute geschlossen für neue Gäste, heiße mich aber dennoch Willkommen. Das ist natürlich prinzipiell toll, und im positiven Sinne liegt er nicht komplett daneben, versuche trotzdem dagegen zu halten, erwähne Ärzte und andere Berufsgruppen, denen nicht soviel Freiheit möglich sei. Da stimmt er zu.

Alle Ansicht hängt immer von den gemachten Ansichten ab, also von der Erfahrung, und die ist relativ. Erinnere auf der aktuellen und den zurückliegenden Reisen eher gelassene und hilfsbereite Deutsche, Engländer und Niederländer. Wird wohl auf der weiteren Tour nicht anders werden, bin da ganz optimistisch.

Frühstück stehe morgen ab acht Uhr bereit, und falls später am Abend noch was sei, einfach die Klingel im Flur benutzen.

Schönes großes Zimmer und praktisches Bad, prima zum Wäsche waschen und trocknen, also gleich alles auspacken und schon mal das feuchte Zelt aufhängen. Dann geschwind Hitze und Schweiß abduschen, rein in die Ausgehklamotten und an Hand der Wegbeschreibung des Besitzers, zu Fuß zum letzten noch geöffneten Restaurant, dass um 21:00 Uhr schließen werde. Habe aber leider nicht richtig zugehört oder fehlinterpretiert, denn nach drei Kilometern an der Hauptverkehrsstraße ist immer noch kein Restaurant in Sicht. Laut Beschreibung aus dem Tor links raus bis zur Ampel, passt, rechts keine Ampel zu sehen so weit das Auge reicht, dann über die Kreuzung drüber weg und noch einen Kilometer weiter. Doch hier kommt wohl nix mehr. Also wieder zurück, gegenüber dem B&B die Straße in den Ort hinein, Prinzip Hoffnung, doch alle Läden und Gaststätten haben geschlossen.

Zurück im B&B führt das Klingeln im Flur zu keiner Reaktion, ans Handy geht auch keiner. Im Zimmer folgt der schon leicht entnervte Versuch per Smart eine noch offene Gaststätte oder einen Lieferservice zu finden. Nach drei unsinnigen Angaben durch die Auskunft, u. A. tote Nummer, an denen sie wahrscheinlich hübsch verdienen, aber alles sehr freundlich und hilfsbereit, scheint dieser Weg zwecklos. Die nächste noch offene Gaststätte mit Lieferservice ist zu weit entfernt von Lünne. Hätte klar sein sollen, dass hier um diese Zeit nicht mehr viel passiert. In letzter hungriger Verzweiflung, warum nur nicht eher, das GPS nochmal anschmeißen und ein wenig in der Gegend herum scrollen. Rechts die Straße hinunter erscheinen die „Lünner Stuben“ von denen Herr Tates sprach. Auch heute hatte die Sonne definitiv keinen positiven Effekt aufs Hirn. Uhrzeit laut Smart, kurz nach halb neun. Zögere einen Moment, mache dann aber doch noch im Eilschritt los. Sind nur knapp anderthalb Kilometer. Und ja, rechts etwas weiter die Straße entlang, erscheinen ebenfalls eine Ampel und eine Kreuzung. Jetzt aber fix. Fast schon wieder durchgeschwitzt, hinein in die guten Stuben mit Schnellimbisstheke und Brutzelfettduft, knapp vorm Schließen. Das meiste ist deshalb schon aus, Feierabendstimmung schwappt rüber. Je mehr ich bestelle, desto munterer wird die Bedienung jedoch. Schneller Rückmarsch mit einer wilden Mischung aus Krautsalat, Nudelsalat, Backfisch und alkoholfreiem Bier zum Mitnehmen, in einer Plastiktüte.

Hunger! Glotze an, Tomatenmark über den Nudelsalat spritzen, spachteln, nichts weiter denken. Anschließend eine halbe Tafel Schokolade, kurz verdauen und zu guter Letzt aufraffen und bis um Mitternacht Wäsche waschen, aufhängen und halb ohnmächtig ins Bett kippen.

Das Fahrrad nächtigt in einen leer stehenden Stall.

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