Die Zeitwaisen

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Berlin–Dingle–Avranches 2017 – Caldicot–Cymer, Donnerstag 8. Juni

in: Berlin–Dingle–Avranches 2017
Caldicot–Cymer, Donnerstag 8. Juni
Reisen, Radreisen
Radix | Berlin–Dingle–Avranches 2017

-10:24-

Newport. Regen und Wind haben zugenommen. Biege in die „Stephenson Street“ ein. Nach ein paar hundert Metern erhebt sich in der Ferne, scheinbar mitten über der Straße, eine große, merkwürdige Stahlkonstruktion. Fahre im strömenden Regen und durch heftige Böen schlenkernd dem hoch aufragenden Vierbeiner langsam entgegen. Ein blaues Häuschen scheint unter seinen Hinterbeinen zu schweben. Passiere ein Tor und fahre etwa hundert Meter weiter unter dem aufgeständerten Häuschen drunter durch. Ahne Böses. Erreiche schließlich im Schritttempo das erste paar Fachwerkstützen und muss abrupt anhalten. Die Darstellung auf der Karte lässt vermuten, die Straße würde ohne Unterbrechung verlaufen, also Brücke oder dergleichen. Am Ende der Straße tut sich jedoch nur ein riesiger Abgrund auf, schlammig braune Wassermassen bahnen sich acht Meter weiter unten ihren Weg, 250 Meter gegenüber das andere Ufer. Keine Straße, keine Brücke, nur hoch oben diese Stahlkonstruktion, die von einem zum anderen Ufer spannt. Brücke weggerissen in den Schlammfluten? Zusammengebrochen und weg gespült? Unwahrscheinlich bei dem Wasserstand. Fährbetrieb ebenso. Wie soll hier eine Fähre anlegen? Vielleicht ist die Stahlkonstruktion die Brücke. Müsste da nur irgendwie rauf. Bescheuerter Gedanke. Aber da ist tatsächlich eine Treppe in einem der Fachwerkpfeiler. Regen und Wind klatschen ins nasse Gesicht. Fahre vor dem Abgrund mehr oder weniger im Kreis umher und versuche Informationen zu sammeln. Halte Ausschau nach Schildern, Tafeln, etc., die Aufschluss geben über die Art des Betriebs, vielleicht ja doch eine spezielle Fähre. Doch nirgendwo ein Hinweis auf Fährbetrieb, Einlass, Ticketpreise oder dergleichen. Warum auch. So ein Blödsinn. Der Wasserstand schließt Fährbetrieb definitiv aus. Keine Menschenseele in Sicht. Eine Art Hängefähre? Dann muss die Gondel wohl auf der anderen Seite vertäut sein. Kann da jedoch nichts erkennen. Schlage das Teil später nach und werde schlauer. Korrekt, eine Schwebefähre, die „Newport Transporter Bridge“. Und tatsächlich führt ein Fußweg oben drüber, zum anderen Ufer, sofern der Weg nicht gesperrt ist auf Grund der Wetterverhältnisse, so wie aktuell. Wäre mit Fahrrad und Gepäck aber eh eine irre Aktion. Kühle langsam ab, zu wenig Bewegung. Drehe frustriert um, fahre den Weg zurück in der Hoffnung jemanden zu finden, der sagen kann, ob da was in Betrieb ist oder nicht, obwohl letzteres offensichtlich scheint. Sehe rechts am Straßenrand hinter der nassen Windschutzscheibe eines Pkw ein Pärchen sitzen, fahre heran, kann kaum noch schalten, alles klitschnass, gestikuliere, wir blicken uns an, Fensterscheibe senkt sich. Im Stand scheint der Regen immer nachzulassen. Nein, die Verbindung sei nicht mehr in Betrieb. Ganz sicher? Ja, die sei außer Betrieb, aber ich könne die Brücke etwas weiter oben nehmen. Weit? Nein, gleich links die Straße rauf, knapper Kilometer. Vom Regen gestreichelt geht die Sturmfahrt weiter. Erleichterung ist ein ermutigendes Gefühl. Flüchtig auf der Karte checken, bestens, hinter der Brücke führt die Straße direkt auf die ursprüngliche Route zurück.

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